Hoch hinaus

Sie ist eine moderne Pippi Langstrumpf: Ihr kleines, typisch rot-weißes Holzhaus in der südschwedischen Einöde teilt sie sich mit fünf Katzen und Hund Stanley, draußen wohnen zwei Schafböcke und natürlich ein Elch. Sie klettert auf Bäume, arbeitet mit Axt und Motorsäge, scheint keine Angst vor nichts und niemand zu haben. Baumpflegerin Viktoria Carstens nimmt uns mit in ihre spannende Welt.

Mit ihren wachen, funkelnden Augen, den Sommersprossen und zwei roten Zöpfen, die unter dem Helm hervorgucken, erinnert sie ein bisschen an eine moderne Version von Pippi Langstrumpf – der berühmtesten Schöpfung der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren. Viktoria Carstens hat Spaß daran, auf Bäume zu klettern, auch das verbindet sie mit Pippi. Allerdings klettert die 27-Jährige nicht nur zum Spaß, denn sie ist Baumpflegerin.

Wie Pippi ist auch Viktoria unerschrocken, mutig, stark. Sie lebt allein in einem kleinen, typisch rot-weißen Holzhaus am Waldrand irgendwo in der südschwedischen Einöde. Zum Einkaufen muss sie eine halbe Stunde fahren – in die eine oder die andere Richtung. Strom und Internet gibt es, fließendes Wasser nicht. Die Toilette ist draußen. Im Winter frieren die Leitungen ein. „Hier will niemand wohnen“, sagt sie mit einem verschmitzten Grinsen und zuckt mit den Achseln. Niemand außer ihr. Für sie ist „Hackabäck“, so heißt das Häuschen, ihr kleines Paradies, das sie sich mit fünf Katzen, Hund Stanley und zwei Schafböcken teilt. Ab und zu schaut aus sicherer Entfernung ein Elch nach dem Rechten. Direkt neben dem Haus befindet sich der Geräteschuppen, in dem Viktoria „ihre Schätze“ hütet. Gemeint sind damit zahlreiche Motorsägen, Äxte, Werkzeuge aller Art und natürlich ihre Ausrüstung, die sie braucht, um in schwindelerregenden Höhen zu arbeiten. Dazu gehört auch ein spezieller Gürtel, der vier bis fünf Kilo wiegt, übersät ist mit Karabinerhaken und Seilen. Er erinnert an ein Klettergeschirr für hochalpines Gebiet und ist für Baumpflegerinnen und Baumpfleger eine Art Lebensversicherung.

Bei allem Fleiß kommt auch die Liebe nicht zu kurz: Mit Zac ist Viktoria inzwischen verlobt. Kennengelernt hat sie den US-Amerikaner, der Baumhäuser baut, über Instagram.
Bei allem Fleiß kommt auch die Liebe nicht zu kurz: Mit Zac ist Viktoria inzwischen verlobt. Kennengelernt hat sie den US-Amerikaner, der Baumhäuser baut, über Instagram.

Vielleicht liegt es an ihrem Geburtsort Roskilde, dem weltberühmten Festival-Ort, oder dem Besuch der Waldorfschule, dass Viktoria bis heute ein Freigeist ist. Bei ihr ist wenig so wie bei allen anderen. Natürlich darf es zwischendurch auch mal Kleid statt Schutzausrüstung sein, mal Makeup statt Schmutz im Gesicht. Aber dann ist da doch seit Kindertagen der große Traum, draußen zu sein, mit Tieren, Menschen und der Natur zu arbeiten. Ein Motorsägenkurs, den sie eher zufällig belegte, um die Wartezeit bis zum Beginn des Studiums zu überbrücken, wies ihr endgültig die Richtung: „Statt wie geplant Natur- und Kulturkommunikation zu studieren, habe ich eine dreijährige Ausbildung zur Forst- und Naturtechnikerin an der „Skovskolen“ (Waldschule) der Universität Kopenhagen gemacht.“ Eine Entscheidung, die sie bis heute nicht bereut hat: Jeder Tag ist anders und trotz der besten Vorbereitung kommt immer etwas anders als geplant. Das Wichtigste aber ist, dass sie in und mit der Natur arbeiten kann und dabei hilft, auf etwas Acht zu geben, das ihr so sehr am Herzen liegt.

»Ich mag es, dass ich mit meiner Arbeit die Natur um mich herum schützen und bewahren kann.«

Viktoria Carstens

Rund

87.000.000.000

Bäume stehen in Schweden – damit sind rund 70 Prozent der schwedischen Landesfläche bewaldet.

Doch so einfach und ungefährlich, wie der Job klingt, wenn Viktoria begeistert erzählt, ist er nicht. So hat sie aus ihren Fehlern „auf die harte Tour“ gelernt und schaut sich nun die Bäume noch genauer an, bevor sie mit der Arbeit beginnt. Denn wie bei Menschen ist manchmal auch bei den Bäumen „ein echt komischer Typ“ dabei. Wirklich Angst hat sie selten: „Aber es ist sicherlich gesund, auf der Hut und immer bestens vorbereitet zu sein, wenn man so einen gefährlichen Beruf ausübt.“ In diesen Momenten wird die 27­-Jährige ganz ernst. Bei aller Begeisterung für ihre Arbeit und bei der Leichtigkeit, mit der sie scheinbar alles meistert – eigene kleine Unfälle und die von Kolleginnen und Kollegen haben ihr immer mal wieder gezeigt, wie schnell sich das Blatt wenden kann und in welche Gefahr sie sich bei den einzelnen Jobs mitunter begibt.

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Tiere leben mit Viktoria auf dem von Wald umgebenen Grundstück. Und ab und zu schaut mal ein Elch vorbei.

Deshalb aber langsamer machen oder gar einen anderen Beruf ausüben? Undenkbar! Das Gegenteil ist bei dem sympathischen selbsternannten Adrenalin-Junkie der Fall: Seit 2017 stehen sogar noch Wettbewerbe, bei denen sich die besten Baumpflegerinnen und Baumpfleger messen, auf Viktorias Liste. Inzwischen hat sie mehr als 15 Wettkämpfe in Dänemark, Norwegen und Schweden bestritten, sich 2018 und 2019 sogar für die Europameisterschaft qualifiziert. Ihren größten Erfolg feierte sie 2021: Als beste dänische Baumpflegerin darf sie ihr Heimatland nun sowohl bei der Europameisterschaft als auch bei der Weltmeisterschaft im September 2022 in Kopenhagen vertreten.

»Es macht mich glücklich, Frauen dazu zu inspirieren, ihren Träumen zu folgen und Geschlechter­normen aufzubrechen.«

Viktoria Carstens

„Baumpflegerinnen und -pfleger sind eine ganz besondere Gruppe“, berichtet Viktoria und lacht. Bei aller Rivalität helfen sich alle, geben sich Tipps und leihen sich gegenseitig Ausrüstung. „Es ist toll, andere supertalentierte und erfahrene Kletternde zu sehen und neue Ausrüstungen kennenzulernen.“ Die Wettkämpfe finden in der Regel in Parks oder Erholungsgebieten statt, in denen es genügend große Bäume gibt, um alle fünf „Zweige“, die der Wettbewerb hat, unterzubringen. Dazu gehören „Workclimb“, das Läuten von Glocken mit der Handsäge in der Baumkrone, um einen Baumschnitt zu imitieren, „Areal Rescue“, die Imitation einer Rettungssituation, bei der ein Verunglückter aus der Baumkrone geborgen werden muss, „Throwline“, die Installation von Seilen in der Baumkrone, „Belayed Speed Climb“, ein Wettlauf zur Baumkrone, um eine Glocke zu läuten, und schließlich „Ascent Even“, die Installation eines Klettergeräts und der schnellstmögliche Aufstieg an einem Seil über 12 bis 23 Meter. Die Punkte aus diesen Vorläufen werden zusammengezählt, und die besten Frauen und Männer nehmen an der „Masters Challenge“ teil, die im Grunde eine Mischung aus allen Vorläufen ist, nur in einem anderen Baum.

Für Viktoria Carstens ist ihr Beruf auch eine große Leidenschaft.
Für Viktoria Carstens ist ihr Beruf auch eine große Leidenschaft.

Und wer nun denkt, dass damit auch die Freizeit von Viktoria Carstens gut verplant ist, der irrt. Denn nebenbei ist sie auch bei Instagram sehr aktiv und teilt regelmäßig ihr Privat- und Berufsleben mit mehr als 78.000 Fans. Dabei hält sie mit ihrer Vorliebe zu STIHL nicht hinterm Berg – immerhin ist sie seit mehr als drei Jahren Markenbotschafterin. Eine „ganz natürliche Verbindung“, die ihr dabei hilft, der Welt zu zeigen, dass auch Frauen in dieser doch harten und sehr körperlichen Branche einen super Job machen: „Es macht mich richtig glücklich, über die sozialen Medien mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten und Frauen dazu zu inspirieren, ihren Träumen zu folgen und Geschlechternormen zu durchbrechen.“ Das ist ihr dann auch die zusätzliche Arbeit wert.

»Das beste Werkzeug für die jeweilige Aufgabe zu haben, macht jeden Tag einfacher.«

Viktoria Carstens
In schwindelerregenden Höhen fühlt sich die <span class="u-nowrap">27-Jährige</span> genauso wohl wie auf dem Boden. Ist dann auch noch das Wetter gut, macht ihr die Arbeit richtig Spaß.
In schwindelerregenden Höhen fühlt sich die 27-Jährige genauso wohl wie auf dem Boden. Ist dann auch noch das Wetter gut, macht ihr die Arbeit richtig Spaß.
Was macht eine Baumpflegerin?

Baumpflegerinnen wie Viktoria Carstens übernehmen alle Arbeiten in Zusammenhang mit der Pflege, Behandlung oder Beseitigung von Bäumen. Sie sorgen für ihren Erhalt sowie ihren Schnitt und pflanzen neue Setzlinge. Sie prüfen, ob Bäume gesund oder krank sind, und behandeln oder entfernen beispielsweise Bäume, die von Schädlingen befallen sind.

Baumpflegerinnen und Baumpfleger schneiden die Bäume und Sträucher mit der klassischen Motorsäge oder anderen Maschinen. Bei ihrer Tätigkeit müssen sie oft mit entsprechender Sicherheitsausrüstung auf den Baum klettern, vor allem, wenn sie die Baumkrone schneiden. Der Einsatz hoch oben im Baum ist oft notwendig, um zu kontrollieren, ob es Schäden gibt – oder nistende Tiere, die geschützt werden müssen.

Ganz uneigennützig ist das Ganze nicht: „Die enge Zusammenarbeit mit STIHL gibt mir die Möglichkeit, mit neuen und hochprofessionellen Geräten zu arbeiten. Und das macht den größten Unterschied in meinem Arbeitsbereich aus.“ Je besser ihre Ausrüstung ist, desto weniger anstrengend ist die Arbeit im oder am Baum. Zudem schätzt sie die Innovationskraft des deutschen Familienunternehmens. Denn dieser Drang, stets noch besser zu werden, übertrage sich auch auf sie, wenn sie den Helm aufsetze oder die Motorsäge aus dem Regal nehme.